"I guess you don't know me 06"
2013, videoinstallation, Turkey, 8‘24‘‘, 3-channel HD-video, 16:9, with sound, here: one screen version, 8‘56‘‘, with sound
2013, videoinstallation, Turkey, 8‘24‘‘, 3-channel HD-video, 16:9, with sound, here: one screen version, 8‘56‘‘, with sound
Im Projekt I guess you don‘t know me von Ana Baumgart und Ina Schoof werden Reisen und zufällige Begegnungen zu Kunstwerken. 2013 führte sie ihre künstlerische Arbeit zur Episode “I guess you don‘t know me 06” in das kleine türkische Dorf Avden, wo sie mehrere eigenartige Gruppenportraits in Schwarz-Weiß – ihrer bevorzugten Technik – anfertigten. Bei diesen Portraits handelt es sich allerdings nicht um Fotografien, sondern um gefilmte tableaux vivants. Wie bei einem Foto verharren alle Posierenden minutenlang in einer Stellung, mit dem Unterschied, dass sie dabei gefilmt werden und die Betrachter_in diesem Verharren in voller Länge beiwohnt. Die Konstellationen umfassen Gruppen von vier bis zehn Personen, die sich meist vor ihren eigenen Häusern oder in ihren Gärten aufstellen. Kleine Bewegungen wie das Blinzeln der Augenlider oder eine leichte Drehung des Kopfes und Geräusche aus dem Hintergrund, beispielsweise ein Hahnenschrei, verraten, dass hier eine gefilmte und keine fotografierte Pose zu sehen ist und wie lange zwei Minuten Stillhalten sein können. Auf diese Weise werden die Spannung und das Unbehagen der dargestellten Personen buchstäblich spürbar.
Tableaux vivants (dt. lebende Bilder) waren insbesondere im späten 18. und im 19. Jahrhundert populär. Dabei handelte sich um nachgestellte Szenen beispielsweise aus einem Gemälde oder einem Theaterstück, wobei die verkleideten Posierenden in eine entworfene Szenografie eingebettet waren. In der Arbeit I guess you don‘t know me 06 verkleidet sich allerdings niemand und auch von einer Nachstellung ist schwerlich zu sprechen. Diese tableaux vivants kamen durch die Initiative und das Einwirken der Künstlerinnen zu Stande, gleichzeitig basieren sie aber auch auf zufälligen Begegnungen. Während in Baumgart und Schoofs früheren Arbeiten eher die Künstlerinnen selbst im Vordergrund standen, oder sie gar die einzigen Protagonistinnen ihrer Arbeiten waren, sind hier die Dorfeinwohner_innen im Fokus. Die schwarz gekleideten Künstlerinnen gesellen sich zwar zur Aufstellung dazu, jedoch platzieren sie sich eher im Hintergrund. Die Kleidung und der Habitus verraten, dass die Einwohner_innen des Dorfes und das Künstlerinnenduo unterschiedlichen Welten angehören – und dennoch sprechen Baumgart und Schoof bezüglich dieser Arbeit von Familienportraits. Familienportraits? Seltsam. Die beiden sind doch zufällig in Avden gelandet, sie kennen niemandem dort und sprechen die Sprache der Dorfbewohner_innen nicht. Welche Familie ist hier also gemeint? Während ihres Aufenthalts erfahren Baumgart und Schoof, dass viele Jugendliche auf der Suche nach Arbeit aus dem Dorf fortziehen. Mit ihren tableaux vivants wollen sie entstandene Leerstellen füllen, indem sie für den Moment die inkompletten Familien quasi als Platzhalterinnen für die weggezogenen Kinder ergänzen. Klappt das?
Lawinia Rate